Track : Grossvater Jakobs Rote Fahne
Artist : Walter Mossmann
Album : Chansons / Flugblattlieder / Balladen / Cantastorie apokrüfen
Grossvater Jakobs Rote Fahne by Walter Mossmann from album Chansons / Flugblattlieder / Balladen / Cantastorie apokrüfen
Duration : 6 minutes & 54 seconds.
Listener : 2 peoples.
Played : 7 times and counting.
Da war ich in der Kinderzeit
Schon in der Minderheit
Gegen die Scheren, die mich schoren
Und die Leut', die sich verschworen
Dass ich «was Bessres» werden sollte!
Ein Mann mit glatter Zunge, fein belesen und frisiert
Der dann mit Goethes Hilfe zum Professor arriviert –
In der verdammten Suppenhuhnkultur
Ist das die feine Aufstiegstour!
Das war in meiner Kinderzeit
Wie in der Gründerzeit
Dass man mich lehrte, zu vergessen
Wie der Großvater gefressen
Mit seinem Proletenmaul!
Der alte Jakob war nun mal, so ist das leider
Ein Pfälzer und ein schäbiger Metallarbeiter –
Und so verkam sein Erbe nach und nach
Im Speicher oben unterm Dach
Und da lag eine rote Fahne
Mit der Aufschrift «Solidarität» –
Man sagte mir, sie wär so schlimm
Als wie der Rote Hahn
Der auf dem Dache kräht!
Das war in grüner Frühlingszeit
In der Erwachenszeit
Ich schielte Mädchen auf die Brüste
Dachte nachts, dass ich gern wüsste
Wie's mit dem Ziel der Liebe ist!
Da soll man tausend Meter rennen, frischfrommfröhlich sein
Die Fenster öffnen, Füße waschen und sich selbst kastei'n
Und löst doch kein Problem in der Nacht
Wenn die Blume steht in voller Pracht!
Dann kam die reife Sommerszeit
Da wär' ich gern zu zweit
Das wilde Liebesspiel zu pflegen
Mit Kathrinen hingelegen
Wo das Auge der Zucht nicht wacht!
Ich nahm ein schlaues Buch und sieben Apfelsinen
Und stieg hinauf mit meiner schönen Katharinen
Zu Jakobs Erbe oben unterm Dach!
Da fielen wir der Länge nach
Auf die alte rote Fahne
Mit der Aufschrift «Solidarität» –
Ich sage euch, wir war'n so heiß
Als wie der Rote Hahn
Der auf dem Dache kräht!
Das war in fetter Wohlstandszeit
Im braunen Notstandskleid –
Ihr konntet die Signale hören
Denn wir schrieen laut in Chören:
"Der Kaptalismus muss weg!"
Wir rannten Arm in Arm durch uns're aufgescheuchte Stadt
Wo seither die KP auch Angst vor Anarachisten hat –
Das Wasser war nass, der Knüppel so hart
Doch Kathrin küsste süß und zart!
Das war noch keine Erntezeit
Wir war'n noch nicht so weit –
Wir standen dumm vor den Fabriken
Und wir schlugen keine Brücken
Zu den Männern unterm Tor!
Da erinnerte ich wieder
Des alten Jakobs pathetische Lieder
Und auch die nackte Sprache, die er sprach
Und ich holte oben unterm Dach
Die alte rote Fahne
Mit der Aufschrift «Solidarität» –
Da schrien die braven Bürger gleich:
"Das ist der rote Hahn
Der auf dem Dache kräht!"
Jetzt hört was aus der jüngsten Zeit
Da war es höchste Zeit
Man hat mich übel abgedrängt
Ich dachte schon, ich werd' gehängt –
Die war'n auf meine Fahne scharf!
Das war'n die kleinen Bürger mit der Pfütze Kapital –
Demokraten aus der Mitte» und schon ziemlich radikal!
Ich hab' mit denen lieber nicht gerauft
Sondern die Fahne glatt verkauft –
Und da brannte die rote Fahne
Mit der Aufschrift «Solidarität»!
Jetzt aber, Genossen, werden wir mal
Nicht sentimental
Sondern lernen wir vor allen Dingen
Die Dialektik dieser schlauen Tat
Die uns nämlich mit dreißig Silberlingen
Sechs neue Fahnen eingebracht hat!
Die erste für das «Wilhelm–Reich–Institut»
Die zweite für das «Walter–Benjamin–Institut»
Die dritte für das «Spartakus–Seminar»
Die vierte für das Auslandsamt in meiner eig'nen Stadt
Und die fünfte auf das Ordinarien–Rektorat!
Aber die sechste, Genossen – verzeiht
Wird Katharinens rotes Kleid
Und sie trägt die rote Fahne
Mit der Aufschrift «Solidarität» –
Die steht ihr gut, die rote Fahne
Mit der Aufschrift «Solidarität»!